Christsein in Marokko

Gottesdienste in französischer und englischer Sprache in sieben Städten

Dass Klaus manchmal am Sonntag vormittag den französischsprachigen Gottesdienst der evangelischen Gemeinde in Rabat besucht, erzählt er vorsichtshalber keinem seiner Familienangehörigen. Denn der Hamburger hat dazu offiziell kein Recht. Seit er eine Marokkanerin geheiratet hat, mußte er Moslem werden. Karima ist seine große Liebe, die er nur heiraten konnte, wenn er ihren Glauben annahm. Denn sonst hätte seine Frau mit ihrer Familie und allen Traditionen brechen müssen. So schreibt es die marokkanische Verfassung vor – unabhängig davon, in welchem Land das Ehepaar lebt. Klaus ist also Moslem geworden.

 „Nur auf dem Papier“, gesteht er uns. Er habe dreimal eine Formel sprechen und einen islamischen Namen annehmen müssen. Sein Schwiegervater sei sehr erfreut gewesen, dass sich Klaus für den alten Namen Adam entschieden habe. Vor der Beschneidung habe er sich drücken können, weil er damals vorgab, einen wichtigen Termin in Deutschland zu haben. Seit drei Jahren lebt der 45jährige mit seiner Frau und den beiden Kindern in Marokkos Hauptstadt und arbeitet hier für ein deutsches Unternehmen. 

In die Moschee geht Klaus nie. Er ärgert sich darüber, daß Nichtmoslems die Heiligen Stätten nicht besuchen dürfen, während doch in unseren Kirchen niemand nach der Religionszugehörigkeit fragt. Vielleicht würde er am Eingang einer Moschee auch abgewiesen, glaubt Klaus, weil er wie ein europäischer Tourist aussehe. Er selbst bezeichnet sich als tolerant und hofft, dass seine Kinder, obwohl sie in einer islamischen Umwelt aufwachsen und automatisch Moslems sind, auch andere Religionen kennen lernen.

Was allerdings die wenigsten wissen: Dass Nichtmoslems die marokkanischen Moscheen nicht besuchen dürfen, ist kein marokkanischer Erlaß. Zu Beginn des französischen Protektorats nach dem ersten Weltkrieg verordnete Marschall Liautey dieses Verbot, um das religiöse Leben der Marokkaner nicht durch Angehörige der französischen Armee zu stören und so von vornherein Unruhen zu vermeiden. Dieser Erlaß ist nie wieder rückgängig gemacht worden und existiert deshalb heute noch, 45 Jahre nach der Unabhängigkeit. Nicht wenige Marokkaner in den Städten und solche, die im Ausland gelebt haben, sind mit Christen befreundet und über deren Glaubensaussagen gut informiert. So wie Ahmed, der in den dreißiger Jahren in Rabat einen Kindergarten besuchte, der von französischen protestantischen Schwestern geleitet wurde. Ahmeds Frau stammt aus den USA. Da Frauen bei der Heirat mit einem Marokkaner ihren christlichen oder jüdischen Glauben (sie müssen nur an einen Gott glauben) behalten dürfen, besucht Ahmeds Frau in Rabat auch den Gottesdienst, der in der einzigen evangelischen Kirche der Stadt sonntags um 9.30 Uhr in englischer Sprache gehalten wird. Ein amerikanischer Geistlicher von der Protestant Fellowship of Christian Believers ist dafür zuständig. Der Kindergottesdienst findet in der amerikanischen Schule statt. 

Auch eine koreanische Methodistengemeinde genießt in der evangelischen Kirche Gastrecht.  Die französischsprachigen Protestanten halten ihren Gottesdienst um elf Uhr ab. Viele Europäer trifft man hier allerdings nicht – und selten mal Deutsche. Die meisten Gemeindeglieder sind Schwarze aus Mittelafrika, die in Marokko studieren und ihre Familien nachkommen ließen. Das macht Gottesdienste in Rabat, Casablanca und Marrakech so lebendig. Wenn der zuständige Pastor gerade eine andere Gemeinde in einer anderen Stadt betreut, kümmert sich ein eingefahrenes Laienteam um die Gottesdienste. Gestenreich malt der junge Kenianer den Sonntagstext aus: Mose empfängt die Zehn Gebote. 

Die evangelische Kirche in Rabat liegt an der Avenue Allal Ben Abdellah, die direkt in die Altstadt führt. Gegenüber befindet sich das französische Konsulat, und der Hauptbahnhof ist nur 200 Meter entfernt.Vom Eingang der Kirche aus kann man Rabats große Moschee sehen. Nur wenige Schritte sind es auch bis zur katholischen Kirche St. Pierre, der Bischofskirche für Katholiken in Marokko. Auch hier sind die überwiegende Mehrheit der Gottesdienstbesucher Schwarze. Ein uniformierter Marokkaner wacht am Eingang darüber, dass die Gläubigen nicht belästigt werden. Protestantische Kirchen gibt es auch in den Städten Tanger, Kenitra, Fes, Marrakech, Agadir und Casablanca. Schon vom Hafen von Tanger aus kann man neben den (allerdings höheren) Minaretten auch Kirchtürme in der Stadtsilhouette entdecken. 

In Casablanca, der am wenigsten marokkanisch anmutenden Stadt, betreut Pastor Etienne Quinche die Protestanten. Er stammt aus Neuchâtel in der Schweiz und lebt mit seiner Frau seit acht Jahren in Marokko. Noch in diesem Jahr wird er als Ruheständler wieder in der Heimat zurück kehren. Es habe ihn damals gereizt, erzählt er, eine international zusammengesetzte Gemeinde in einem islamischen Land zu betreuen. In Casablanca und den anderen von ihm betreuten Gemeinden setzen die Christen stark auf Ökumene, halten oft gemeinsame Gottesdienste, treffen sich zu Bibelarbeit und singen in einem ökumenischen Chor. „Europäer werden seltener in Marokko,“ sagt Quinche. „Die meisten Neuankömmlinge haben nur Verträge zwischen zwei und fünf Jahren, und viele sind auch nicht kirchlich ausgerichtet.“ Die mit Marokkanern verheirateten christlichen Frauen seien auch nur zeitweise aktive Stützen der protestantischen Gemeinden. Meistens sei ihre Zeit durch die Familie des Ehemannes so in Anspruch genommen, dass sie sich mehr und mehr aus der kirchlichen Arbeit zurück zögen.„Die Situation der Mischehen ist hier oft schwierig“, betont der Geistliche. „Es kommt häufig zu Spannungen, besonders wenn der Ehemann Ausländer ist.“ Aber Quinche freut sich auch, dass manche Zwangsmoslems glücklicherweise ihren Zustand akzeptieren und damit leben.

Große Probleme gibt es für diejenigen ausländischen mit Marokkanern verheirateten Frauen, deren Männer sterben, wenn die Kinder zwischen zwölf und 21 Jahre alt sind. Denn in diesem Fall dürfen sich die Frauen nicht weiter um die Erziehung kümmern. Die Kinder bekommen einen Vormund, zum Beispiel den Bruder des Verstorbenen. Nicht wenige Frauen lernen im Urlaub in Marokko einen Einheimischen kennen, heiraten schnell, ohne sich über ihre Rechte und Pflichten zu informieren. Langzeiturlaub am Strand von Agadir – einer in den 60er Jahren durch Erdbeben zerstörten Stadt im Süden – kommt immer mehr in Mode. Die EKD (Evangelische Kirche Deutschlands) könnte hier ein breites Betätigungsfeld vorfinden.  Agadir ist anders als das übrige Marokko. Hier drücken manche Hoteliers gegen ein Trinkgeld schon mal beide Augen zu, wenn nicht miteinanderVerheiratete  ein gemeinsames Zimmer buchen. Vom Gesetz her machen sie sich allerdings strafbar, und die Vorschriften des Korans gelten auch für Nichtmoslems. Dass man in Marokko immer mehr Frauen in Jeans und ohne Kopftuch findet, bedeutet übrigens nicht, dass sie sich über die Traditionen ihres Landes hinwegsetzen. Der Koran schreibt kein Kopftuch vor. Sich damit zu verhüllen ist eine persönliche Entscheidung der Frauen – oder besser ihrer Eltern beziehungsweise ihres Ehemannes.

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