Seit fast 160 Jahren wird in Sydney deutsch gepredigt
Martin-Luther-Kirche duckt sich zwischen Hochhäusern
 
Sie wirkt wie eingeengt zwischen den Hochhäusern. Und fällt dennoch auf. Sydneys deutsche evangelisch-lutherische Martin-Luther-Kirche an der Goulburn Street, zehn Minuten von Hauptbahnhof und Hyde Park entfernt, hält seit ihrer Einweihung im Jahre 1883 die Stellung. Freitags ist „Tag der offenen Tür“.
Hier treffen wir die Kirchenvorsteherin Lotti Mardehl, die seit fast dreißig Jahren in der dreieinhalb Millionenstadt lebt. Dreihundert Deutschsprachige seien als Gemeindeglieder eingetragen, berichtet die Lehrerin. Hinzu kommen aber noch solche, die kurzzeitig hier leben: Studenten, Praktikanten, Vertreter deutscher Firmen und Diplomaten.
 
Die Kerngemeinde besteht jedoch aus deutschen Heimatvertriebenen. Diese mussten sich damals neu orientieren und wanderten nach Australien aus. Die deutschsprachigen Gemeinden in Sydney und Melbourne waren für sie die ersten Anlaufstellen bei Hilfe und Integration. Inzwischen sind diese Stützen der Gemeinde älter geworden und können sich weniger ehrenamtlich engagieren. Lotti Mardehl nennt ein Beispiel: die Säuberung der Kirche wurde früher abwechselnd unentgeltlich durchgeführt – jetzt erledigt das eine bezahlte Reinigungskraft.
 
Mit dem Älterwerden der Gemeindeglieder entstanden aber auch andere Probleme. Die Kinder sind größtenteils mit Australiern verheiratet und leben nicht am Ort. Deshalb hat die Kirchengemeinde ein Seniorenpflegeheim gebaut, in dem die älteren Menschen in Anbindung an ihre Kirchengemeinde ihren Lebensabend verbringen können. Dort hält der Gemeindepastor regelmäßig Gottesdienste.
 
In der Martin-Luther-Kirche wird an jedem Sonntag Gottesdienst gehalten. Allerdings erst um elf Uhr. Die Gottesdienstbesucher kommen aus einem Umkreis von bis zu vierzig Kilometern. Sie nehmen nicht nur die hohen Fahrtkosten auf sich. Es sind auch Brückenzoll oder Tunnelgebühren zu entrichten. Und selbst am Sonntag kann man im Umfeld der Kirche nicht gratis parken. „Manche springen vom Kirchenkaffee auf, um wieder die Parkuhr zu füttern“, erklärt Mardell. Wer verhindert ist, am Sonntag zum Gottesdienst zu kommen, muss nun aber nicht mehr „außen vor“ bleiben. Seit dem Sommer werden die Predigten aufgezeichnet und stehen schon am gleichen Nachmittag auf dem Internetportal zum Herunterladen bereit. 
 
Der beengte Platz vor der Kirche ist auch einer der Gründe, weshalb nur wenige Trauungen hier stattfinden. Die Brautleute möchten ein anderes Umfeld für den schönsten Tag ihres Lebens: eines, bei dem die Gäste nach der Trauzeremonie auf einer Wiese zusammen sitzen können.
 
Der Gemeindepfarrer ist zugleich Religionslehrer an der Deutschen Schule. Dadurch hat er Kontakt zu Jugendlichen, die dann auch in der Martin-Luther-Kirche konfirmiert werden möchten. In der zwei Häuser weiter eingerichteten Martin-Luther-Stube kommen Jugendliche und junge Erwachsene regelmäßig zusammen. Hier treffen sie auf Christen aus anderen Ländern, vor allem aus Schweden. Die Kirche wird übrigens auch an die Indonesische und Ungarische evangelische Gemeinde für deren Gottesdienste vermietet.
 
Vor 35 Jahren wurde im Westen Sydney noch eine weitere evangelische Gemeinde gegründet. Inzwischen hat sich diese Gnadenfrei-Kirche in Chester Hill mit der Stadtgemeinde zusammen geschlossen. Der Pastor wohnt dort auf dem größeren Grundstück. Eine weitere deutsche Gemeinde gibt es in Melbourne.
 
Die Kirchenmusik spielt in der Martin-Luther-Gemeinde von jeher eine große Rolle. Das weiß auch die Stadtverwaltung von Sydney zu würdigen. Sie hat den Stadtorganisten Robert Ampt abgeordnet, nicht nur den Chor zu leiten, sondern auch sonntags in „Martin-Luther“ Orgel zu spielen. Die Orgel wurde übrigens in Deutschland gebaut und in Einzelteilen nach Australien verschifft. Der deutsche Orgelbauer überwachte hier selbst den Aufbau.
 
Die deutsche Kirchengemeinde in Sydney hat eine lange Tradition. 1850 wurde zum ersten Mal ein evangelischer Gottesdienst in der Stadt gehalten. Der Pastor unterrichtete auch Mathematik und Sprachen und trug den Nachnamen Goethe. Formell gegründet wurde die Gemeinde aber erst sechzehn Jahre später, und weitere 17 Jahre musste die Gemeinde auf ein eigenes Gotteshaus warten.
 
Der damalige Pastor hat die Gemeinde fast ein halbes Jahrhundert seelsorgerisch begleitet und auch Wert darauf gelegt, dass die deutsche Sprache von denen gepflegt wurde, die schon in zweiter oder dritter Generation in Australien lebten. In der Zeit des ersten Weltkriegs konnte die Gemeinde trotz mancher Widerstände an ihren deutschsprachigen Gottesdiensten festhalten.

Der zweite Weltkrieg jedoch brachte einschneidende Veränderungen, weil die Pflege deutscher Sprache und Kultur in Australien verboten wurde. Orte mit deutschen Namen wurden zwangsweie umbenannt, Deutsche und Deutschstämmige interniert. Die Kirche wurde als Lagerhalle und Quartier der australischen Armee genutzt. Eineinhalb Jahre nach Kriegsende bekam die Gemeinde dann die Kirche zurück. Der 1939 eingeführte Pastor konnte sein Amt unter eingeschränkten Bedingungen wieder aufnehmen.
 
Die deutschen Seelsorger, die dann hier während ihrer zwischen sechs und zehn Jahren dauernden Amtszeit tätig waren, haben sich alle in Sydney sowohl gefühlt. Sie wären auch gern länger oder gar für immer hier geblieben. Doch die Abordnungen der EKD lassen das nicht zu. In diesem Jahrtausend bemühen sich die Geistlichen vor allem, auch jüngere Menschen für die Gemeinde zu gewinnen. Pastor Dirk Wnendt ist allerdings gerade nach einem Jahr aus persönlichen Gründen wieder nach Bayern zurück gegangen. Nun muss die Gemeinde Sydney erst mal mit einem Ruheständler, der zuvor in Davos tätig gewesen ist, vorlieb nehmen. Danach, so hoffen Kirchenvorsteher und Gemeindeglieder, wird dann wieder mehr Beständigkeit in die Gemeinde einkehren. Das Gehalt des Pfarrers muss übrigens von der Gemeinde selbst aufgebracht werden. Jedes Gemeindeglied zahlt soviel es kann. „In Zeiten der allgemeinen Rezession wird das auch immer weniger“, seufzt Mardell.
Ilsemarie Straub-Klein
 

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