Die Risse unter den Christen heilen

Seit mehr als fünfzig Jahren ökumenische Treffen in Taizé/ 20 Prozent Steigerung/ Drei Gebetszeiten in der Versöhnungskirche

Ist Beten, Singen und Meditieren wieder „in“? Sie kommen mit Bussen, mit dem Fahrrad, per Anhalter oder auch mit dem eigenen Auto. Ströme von jungen Menschen, Familien und allein stehende Erwachsene aus 70 Ländern machen sich das ganze Jahr über auf den Weg in die ökumenische Gemeinschaft nach Taizé. 6000 sind es pro Woche in der Hochsaison. Seit der Ermordung des Gründers Frère Roger vor zwei Jahren wird Taizé im französischen Departement Saône-et-Loire noch stärker besucht als schon zuvor. An der Atmosphäre und dem Programm hat sich nichts geändert.  

„Wir hatten im vergangenen Jahr eine Besucher-Steigerung von 20 Prozent“, freut sich Frère Emile, der Sprecher der Brudergemeinschaft Taizé. „Die meisten kommen zwischen Ostern und Allerheiligen – Deutsche, Schweizer und Niederländer an erster Stelle.“ Das heißt: eine Millionen Mahlzeiten pro Jahr. Ohne straffe Organisation läuft das nicht. Deshalb muss jeder auch eine praktische Aufgabe übernehmen, sei es Kochen, Saubermachen, Aufräumen. Der tägliche Teilnehmerbeitrag ist der persönlichen Situation eines jeden angemessen ist. (Studenten zahlen zum Beispiel zwischen fünf und acht Euro). Erwachsene Verdienende tragen mit ihren Überschüssen dazu bei, dass auch Mittellose aus dem Ostblock in der Solidargemeinschaft mit dabei sein können. Seit 1966 stehen Schwestern einer katholischen Gemeinschaft aus dem Nachbarort St. André sowie polnische Ursulinen für die Unterstützung der Brüder den Taizé-Besuchern zur Seite.

Seit Frère Alois Prior der Gemeinschaft der hundert Brüder geworden ist, habe es keine Tendenz zum verstärkten Katholizismus gegeben, betont Frère Emile. Im Gegenteil: die Gemeinschaft sei noch stärker als zuvor um Orthodoxe erweitert worden. Der als Bayern stammende Frère Alois hatte in Moskau die Weichen gestellt – und kürzlich kamen 35 junge orthodoxe Russen mit ihrem Gemeindegeistlichen nach Südburgund. Für 4000 junge Schweden gehört eine Woche Taizé zum Pflichtprogramm vor ihrer Konfirmation mit 16 Jahren. Frère Emile: „Im Juli kam auch Pfarrer Claude Baty nach Taizé, der erst kürzlich gewählte Präsident der Protestantischen Föderation Frankreichs. Gerade sind einige katholische, anglikanische und methodistische Bischöfe aus Großbritannien und den USA wieder abgereist.“

Carina (18) aus einer hessischen Kleinstadt ist zum dritten Mal in Taizé. Dieses Mal bleibt sie einen Monat, arbeitet im Empfang und sammelt Eindrücke für ihr Referat. „Ich bin von dem Zusammenleben hier begeistert. Wir proben das einfache Leben, es gibt keine Konfessions- und Rassentrennung. Wir singen und beten gemeinsam.“ Carina hat zu Hause in ihrer evangelischen Kirchengemeinde bereits eine Taizé- Gruppe ins Leben gerufen, die sich mit Bibelarbeit und den Gebetsgesängen auf den Weg der Versöhnung macht.

Auch Nadja (20) aus Hamburg ist als Einzelreisende wieder gekommen. „Vor einem Jahr war ich hier, um noch mehr als Hause die Ohrwürmer aus Taizé zu singen. Wichtiger ist mir aber jetzt das Bibellesen in Gemeinschaft geworden. In diesem Jahr stehen vier Kapitel aus dem Lukasevangelium auf dem Programm mit den Reflektionen, worum es mir in einem Leben geht, und wie uns das Leben Jesu heute anspricht.“ Auch für Nadja soll es mit den zwei Wochen Taizé nicht vorbei sein. Sie will mit Menschen aus anderen Nationen in Email-Kontakt bleiben und in ihrer Gemeinde Interessierte für die Taizé-Idee gewinnen.

Mit der Gründung der „Communauté de Taizé“ im Kriegsjahr 1940 in dem kleinen Dorf Taizé bei Cluny wollte der Schweizer Protestant Roger Schutz Wege erschließen, um die Risse unter den Christen zu heilen. Denn er hatte die Vision, dass die Versöhnung unter den Christen zur Beilegung von Konflikten in der Menschheitsfamilie beitragen könne. 75 Brüder aus 25 Nationen zwischen 20 und 91 Jahren haben sich in Taizé zum gemeinsamen Leben in Ehelosigkeit und schlichtem Lebensstil zusammengefunden. Weitere 25 Taizé-Brüder leben in Brasilien, im Senegal, Bangladesch und Südkorea in kleinen Bruderschaften unter den Ärmsten. In den vergangenen zwei Jahren hat es fünf Neueintritte gegeben, darunter aus Algerien und aus Ostdeutschland. Die Mönche nehmen übrigens keine Spenden an. Sie finanzieren ihr einfaches Leben vom Verkauf ihrer Töpferwaren und ihrer CD`s.

Zentraler Orientierungspunkt ist die 1962 gebaute und ab 1990 erweiterte Versöhnungskirche mit ihren Zwiebelkuppeln. In ihr können durch verschiebbare Wände bis zu 6000 Menschen Platz finden. Dreimal täglich, um 8.15 Uhr, 12.20 Uhr und 20.30 Uhr rufen die Glocken zum Gebet. Wer Glück hat, kann auf Treppenstufen sitzen – die meisten hocken jedoch auf dem Teppichboden. Schon bis zum Eintreffen der weiß gekleideten Brüder erklingen tausendfach viele der rund 200 Taizé-Lieder, durch Vorsänger oder Instrumente unterstützt. Auch Frère Alois hat mehrere Texte vertont, gerade erst das Bonhoeffer-Gebet „Gott lass meine Gedanken sich sammeln zu Dir.“ Dann nimmt die Stille den Raum ein – wo gibt es solche Ruhe bei Versammlungen von so vielen junge Menschen heute sonst noch? Wie es Frère Roger eingeführt hat: „Lass im Schweigen ein lebendiges Wort Christi in Dir aufsteigen und setze es sogleich in die Tat um.“   

Taizé ist nur der Anfang. Neben den Gruppen in den heimischen Kirchengemeinden finden in jedem Jahr auch internationale Jugendtreffen unter dem Leitmotiv „Pilgerweg des Vertrauens auf der Erde“statt: im Oktober in Cochabamba (Peru) und zum Jahreswechsel in Genf.

Ilsemarie Straub-Klein  

Info: Communauté de Taizé, 71250 Taizé (Frankreich), www.taize.fr, Email : community@taize.fr, Telefon 0033-385-503030, Ansprechpartner für Deutsche : Frère Wolfgang. Zwischen Februar und November wöchentliche Pendelbusse ab Karlsruhe und Freiburg nach Taizé mit verbilligten Bahn-Anschlussfahrten, im Sommer auch direkt ab anderen deutschen Städten, mit Regenbogen-TourService, Telefon 07141/9754-322.

Homepage kostenlos erstellt mit Web-Gear

Verantwortlich für den Inhalt dieser Seite ist ausschließlich der Autor dieser Webseite. Verstoß anzeigen