Auf dem Rucksack-Rundweg durch den Hochtaunus
PILZE SO GROSS WIE FAMILIENPIZZEN

131 Kilometer von Wetzlar bis Wetzlar entlang der Lahn und über die höchste Kuppe

Vorfreude ist eine der schönsten Freuden. Deshalb haben wir uns auch ausgiebig Zeit genommen, die Schönheiten des Hochtaunus in der Theorie zu studieren, die Wanderetappen festzulegen, die Übernachtungsquartiere zu bestellen und schließlich die mittelgroßen Rucksäcke zu packen. Neun Tage wollen wir den 131 Kilometer langen Rucksackweg des Taunusclubs nicht nur ablaufen, sondern mit allen Sinnen genießen. Um es gleich vorwegzunehmen: Wir hatten keinen einzigen völlig regenfreien Tag. In Regencapes gehüllt, zogen wir unser Programm aber dennoch durch.
Wie gut, daß wir schon den ersten Zug genommen haben und gegen Mittag in Wetzlar ankommen. So kann mein Mann Hardy am Domplatz ruhig eine Viertelstunde in den Himmel schauen, bis sich für einen Moment die Sonne hervorwagt und Wetzlars unvollendet gebliebenes Wahrzeichen in das rechte Fotografierlicht taucht. Als wir nach steilen Aufstieg die Burgruine Karlsmunt erreicht haben, beginnt es zu tröpfeln. Von der Plattform aus soll man bei gutem Wetter sogar den Feldberg im Taunus sowie die Westerwaldhöhen jenseits der Lahn sehen. Wir ahnen nur den Dom mitten im Dunst. Jetzt können wir auch keine Wanderkarte mehr hervorholen und achten deshalb besonders aufmerksam auf das ovale weiße Wegezeichen mit den grünen stilisierten Bäumen und dem grünen Rand mit dem Hinweis „Naturpark Hochtaunus“. Nach zweieinhalb Stunden grüßt uns Schloß Braunfels.

Am historischen Marktplatz beziehen wir unser erstes Nachtquartier.
Weilburgs Schloß – ein Kleinod. Die Besichtigung des mehrfach umgebauten Schlosses - die jetzige Silhouette ist erst 110 Jahre alt - fällt nur kurz aus, und  wir treten bald den Weg nach Weilburg an. Rund achtzehn Rucksackwegkilometer liegen vor uns. Nach drei Stunden kommen wir auf freies Feld. Äpfelbäume säumen unsere Route. Wir widerstehen der Versuchung nicht, uns die Anoraktaschen mit den heruntergefallenen Rotbackigen zu füllen.

Nach dem Besuch des Tierparks Weilburg  begehen wir die erste Eigenmächtigkeit unserer Wanderroute. Wir laufen nicht mehr zum 4,5 Kilometer entfernten Kubach und seiner berühmten Kristallhöhle auf dem Rucksackweg, sondern wandern auf der direkten Strecke, dem taunusseitigen Lahnhöhenweg, dem barocken Residenzstädtchen Weilburg entgegen.

Daß Weilburgs Schloßkomplex ein Kleinod sein soll, haben wir zwar gelesen. Die Wirklichkeit erweist sich bei unserem Stadtrundgang jedoch noch als gewaltiger: ob Ostflügel mit dem Uhrturm, Südflügel mit dem Löwenbrunnen, Westflügel mit dem Pfeiferturm oder Nordflügel mit den herrlichen Arkaden - der Renaissancehof bietet unzählige Fotomotive.

Die Lahn windet sich fast als Vollkreis um Weilburg. Der Taunusclub empfiehlt den Rucksackwanderern, sich mit dem Rollschiff über die Lahn setzen zu lassen oder über einen 500 Meter entfernten Steg den Pfad am rechten Lahnufer zu erreichen. Doch der Schiffsverkehr ist wegen Hochwassers eingestellt, und unsere Pensionswirtin rät uns, gleich den ehemaligen Treidelpfad an der linken Lahnseite zu benutzen.

Vor uns liegen sechzehn Wanderkilometer.  „Hochwasser“ verkündet ein Hinweisschild am gepflasterten Weg. Spuren davon können wir noch sehen: Lahnschlamm hängt in den Büschen am Ufer. Kilometerweit laufen wir jetzt an der Lahn entlang. Auf einer Insel im Fluß hat sich ein Graureiher niedergelassen. Entenfamilien und ein Schwan lassen sich durch uns Wanderer in ihrem Gezeter nicht stören. Der nahe Westerwald am anderen Lahnufer färbt sich schon herbstlich, die Uferböschungen sind überreich mit einer gelben Margueritenart übersät. Wir bleiben öfter stehen, um die Wassertropfen in den kunstvoll gespannten Spinnennetzen zu fotografieren.

Schinnerhannes Versteck
Als wir gegen Mittag den Leinpfad in Fürfort verlassen, zieht der Bootsverleiher Willy gerade die Kanus aus dem Wasser. Heute war kein Geschäft zu machen. Willy fragt uns nach dem Woher und Wohin und entpuppt sich auch als Langstreckenwanderer. In Aumenau windet sich die Lahn in einem großen Bogen in Richtung Runkel und Limburg - der Rucksackweg wendet sich ostwärts in den Hochtaunus. In unserem Tagesetappenziel Langhecke erzählt uns unser Pensionswirt, daß hier früher Schiefer und Silber abgebaut wurden. Den Schiefersteinbruch sehen wir noch ein paar Schritte vom Hause entfernt. „Hier hatte sich einst Schinnerhannes versteckt, bevor er festgenommen wurde.“

Gleich bergauf führt uns der Weg am nächsten Morgen. Vor uns liegt die längste Wanderstrecke, die wir uns persönlich vorgenommen haben. „Bis nach Treisberg zu Fuß?“ winkt die Bedienung beim Frühstück ab. „Das ist in einem Tag doch gar nicht möglich.“ Sie denkt sicher an die 30 Kilometer lange Straßenverbindung. Doch „quer über die Berge“ sind es nur 21 Kilometer. Der Weg steigt noch weiter auf die Hochebene und über den 455 Meter hohen Tannenkopf. Hardy nutzt ein paar vorwitzige Sonnenstrahlen aus, um eine Blindschleiche zu fotografieren, die sich über den Weg windet.

Auch der glänzende Mistkäfer, die braune Schnecke und der verschreckte Laubfrosch werden mit der Kamera eingefangen.  „Sieh mal, die riesigen Pilze“, macht mich mein Wanderbegleiter aufmerksam. „Die sind ja so groß wie Familienpizzen.“ Eine Ringeltaube begleitet uns noch eine Weile mit ihrem Ruf. Dann verlassen wir den Wald und marschieren auf Rod an der Weil zu. Der Rucksackwanderweg führt direkt über den Kirchberg an Rods Sehenswürdigkeiten vorbei: dem ältesten Pfarrhaus Deutschlands aus dem 12. Jahrhundert mit prächtigem Fachwerk und dem alten Kirchturm.

Wir laufen  weiter - zunächst an der plätschernden, später strudelnden Weil entlang, dann auf die bewaldete Höhe. Vom Aussichtspavillon aus wird „Weiltalblick“ versprochen. Wir können das drei Kilometer entfernte Weil jedoch nur ahnen.

Auf groben Steinen durchs Bachbett

Nach einer Stunde ist Neuweilnau mit seinem mächtigen Schloß erreicht. Wir wandern den Schloßberg hinab auf Altweilnau zu, umrunden die Burgruine und finden unser Wanderzeichen am Ortsausgang wieder. Der Waldweg führt zunächst bergauf und dann über rutschiges Laub weglos steil bergab. Das kostet Wanderzeit. Wir wundern uns, warum der Taunus-Club entgegen der Beschreibung in seiner Broschüre die Wegeführung geändert hat.

Nun liegt das letzte Stück des Tages vor uns. Zwischen der Landsteiner Mühle und Treisberg gibt es keine direkte Straßenverbindung. Durch nasses, braunes Laub steigen wir wieder steil bergauf und erreichen dann über grobe Steine durch ein trockenes Bachbett mühsam unser Tagesziel. Im Tal ist es bereits dunkel; wir sehen die Burg von Altweilnau in der Ferne.Den Gästen unserer Pension fallen fast die Augen heraus, als sie hören, woher wir zu Fuß gekommen sind. Die Abendbrotzeit ist längst vorüber, doch unseretwegen wird der Koch vom Fernseher von sich zu Haus weggeholt, um uns Spiegeleier und Frikadellen zu braten.

Von Morgensonnenstrahlen begleitet, wandern wir gestärkt und über den Pferdskopf. Von einer Lichtung aus entdecke ich den Großen Feldberg in etwa sechs Kilometern Luftlinie in voller Schönheit. Hardy setzt sich auf die „Aussichtsbank“, mißt den Lichtwert - doch da schiebt sich eine Wolke vor den höchsten Taunusberg. Wir lassen ihr Zeit und warten geduldig zwanzig Minuten lang. Doch der Feldberg läßt sich jetzt endgültig einhüllen, und es beginnt zu nieseln.

In Seelenberg lassen selbst die Pferde des Reiterhofs mißgelaunt ihre Köpfe aus den Boxen hängen. Hardy zieht sein grünes Regencape an und wandelt für den Rest des Tages als verkleideter Baum vor mir her - ich bilde mit meinem roten Mantel das richtige Schlußlicht.
Sichtweite zehn Meter

Eine Zeitlang laufen wir auf der alten Hünerstraße, einem Handelsweg, der schon zur Zeiten der Römer zwischen Köln und Frankfurt bestand. Am Parkplatz „Rotes Kreuz“ legen wir eine kurze Gedenkminute ein: wir haben nun den südlichsten Punkt des Rundwanderwegs erreicht. 

An der gefaßten Quelle der Weil verlieren wir das Rucksackwanderwegzeichen aus den Augen und laufen nun auf matschigen, schmalen Serpentinenwegen auf dem Hessenweg zum Gipfel. Überall scheinen neue Bäche zu entspringen. Fast hätten wir den Feldberg verpaßt. Oben beträgt die Sichtweite gerade mal zehn Meter. Daß hier drei Türme stehen, können wir nur ahnen.

Die letzten zweieinhalb Kilometer bis zu unserem Quartier am Sandplacken laufen wir auf gut geteerter Straße und stellen uns vor, wieviel Getümmel hier wohl an einem sonnigen Sonntagnachmittag herrscht.

Der sechste Tag unserer Wanderwoche zeigt sich zunächst sonnig. Doch das Gras ist noch naß, die Waldwege aufgeweicht. Der Rucksackweg ist wegen Baumfällungen teilweise gesperrt, und so entschließen wir uns, einfach dem Schild „Hessenpark“ bergab nachzugehen. Im hessischen Freilichtmuseum Hessenpark wurden 1974 die ersten Häuser wieder errichtet, die an ihren vorigen Standorten abgebaut werden mußten. Doch der Hessenpark wirkt keineswegs museal. Neben kulturgeschichtlich interessanten Gebäuden grasen Ziegen und Pferde, Störche nisten auf den Schornsteinen, das Mühlrad dreht sich, und im Backhaus wird Brot gebacken.
Marcus Aurelius Antonius winkt

Nach drei Stunden müssen wir weiter, um die Saalburg noch vor der Schließung zu erreichen. Wir haben noch gut drei Kilometer zu laufen. Über die Beschreibung in der Wanderwegbroschüre: „ein paar Minuten entfernt vom Hessenparkt liegt die Saalburg“, können wir nur lachen.

Vor hundert Jahren ordnete Kaiser Wilhelm den Aufbau der Saalburg auf den alten Fundamenten an. Marcus Aurelius Antonius winkt uns zur Begrüßung am Eingang von seinem Sockel herab zu.Von unserem Übernachtungsquartier in Köppern aus, drei Kilometer vom Rucksackweg entfernt, nehmen wir am nächsten Morgen die Abkürzung über den Wellenberg direkt zur Kapersburg. Nach ausgiebiger Besichtigung der römischen Hinterlassenschaften wandern wir jetzt auf dem Limesweg, der zum größten Teil mit unserem Rucksackweg identisch ist.
Der Limes ist stellenweise noch als mannshoher Erdwall erhalten. Wir laufen entweder direkt auf dem Wall oder im vorgelagerten Graben entlang. Hier ist alles naturbelassen. Schilder am dichten Nadelwald neben dem Weg weisen auf „ruhende Natur“ hin. Wir müssen Balanceakte um die riesigen Pfützen rundherum ausführen, denn die Wildschweine haben den Wanderweg als Suhle benutzt.

Nun müssen wir nur noch den 317 Meter hohen Eichkopf überwinden und schreiten zügig über die Brücke über die Usa in das Straßendorf Ziegenberg.

Der Kreis schließt sich

Hinter Wiesental verlassen wir am nächsten Morgen den Limesweg und laufen in einer Baumallee. Hardy macht wegen der zahlreichen herabhängenden Äste häufig Verbeugungen. Der Weg wird zusehens schlechter. Wir müssen über entwurzelte Baumstämme klettern und durch Pampeflächen waten. Der 486 Meter hohe Hausberg hüllt sich in Dunst.Vom Forsthaus Butzbach aus geht es durch den Seegrund, und bald grüßen vom Waldesrand aus die Wehrburg, die gotische Kirche und das Fachwerkrathaus aus dem 16. Jahrhundert. Wir wohnen für eine Nacht in einer zum urigen Gasthaus umgebauten Scheune in Cleeberg.

An unseren letzten Tag müssen wir früh aus den Federn, um erst die 16 Kilometer bis Wetzlar und dann die Zugheimfahrt zu schaffen. Einige Hügel sind zu überwinden. Gegen Mittag haben wir den 401 Meter hohen Stoppelberg mit seinem Aussichtturm erreicht. Wir haben im Reiseführer gelesen, daß man von hieraus den größten Teil des umwanderten Gebietes überblicken kann. Wetzlar ist schemenhaft im Norden auszumachen. Der Feldberg hat sich wieder verhüllt. Doch das hatten wir nicht anders erwartet.

Im Zug ziehen wir Bilanz: es war eine abwechslungsreiche, zur Nachahmung empfohlene Wanderwoche.
Ilsemarie Straub-Klein              

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