In Shanghai wechseln die Gemeindeglieder fast täglich

Pastor Peter Kruse aus Hamburg bezeichnet seine Arbeit in China als traumhaft

Das wünschen sich viele Seelsorger: Gottesdienste, in denen überwiegend Männer zwischen 30 und 55 intensiv zuhören und im Nachgespräch ihre Meinung zu der Predigt äußern. Pastor Peter Kruse(59) ist seit einigen Monaten Geistlicher einer solchen „Traumgemeinde“ in Shanghai. In der wirtschaftlich wichtigsten Großstadt Chinas leben schon 6000 Deutsche – und ihre Zahl wird sich schätzungsweise in den nächsten Jahren verfünffachen.   

Wir haben uns mit Pastor Kruse zu einem Treffen am belebten Peoples`s Square, U-Bahn-Ausgang 3, verabredet und trotz meiner Skepsis sofort erblickt. „Langnasen“ fallen eben auf. In nur ein paar Schritten Entfernung sitzt man in einem Park mit Seerosenteich völlig ungestört. Mit Blick auf die Skyline der Hochhäuser – das höchste ist ein Hotel mit 88 Etagen - berichtet der Pastor über sein Gemeindeleben.

Da die „Deutschsprachige Christliche Gemeinde Shanghai“ (DCGS) weder über eine Kirche noch über ein Gemeindezentrum verfügt, müssen die Treffpunkte für Gottesdienste und Gruppen öfter neu festgelegt werden. „Es ist ein ständiges Kommen und Gehen,“ sagt Peter Kruse, der eine Wohnung im 29. Stock gemietet hat. „Täglich kommen neue Familien an – andere verlassen das Land wieder. Das erschwert kontinuierliches Arbeiten – und der Kirchenvorstand wechselt natürlich auch häufig.“ Wer als Manager bei seiner deutschen Firma Verträge mit einer Dauer zwischen drei und fünf Jahren unterschrieben hat, gehört schon zur Ausnahme. Außer den leitenden Angestellten der großen Konzerne – und ihrer Familien – kommen auch Mitglieder der Konsulate sowie Studenten zur deutschsprachigen Gemeinde. „Eine interessante Mischung,“ findet Kruse. Aber an freundschaftliche Bindung ist da kaum zu denken. „Gerade ist man warm miteinander geworden – da kommt schon wieder die Trennung.“ Dafür hat der Pastor noch keine Beerdigung zu halten brauchen. Und für einen Seniorenkreis besteht kein Bedarf.

Kruse selbst hat einen Dreijahresvertrag. Ob er ihn verlängern wird, ist ungewiss. Zwar gefällt es ihm in Shanghai ausgezeichnet – aber die Umstände können sich ändern. China hat nämlich die Anerkennung der DCGS immer wieder abgelehnt. So operiert die von der EKD nur zu einem geringen Teil finanziell unterstützte Gemeinde unter dem Dach der katholischen chinesischen Kirche. Chinesen dürfen nicht Mitglieder werden. Die Gemeinde muss sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanzieren. In Shanghai dreht sich das Alltagsleben stärker als in der Hauptstadt  Peking um viel-Geld-verdienen. Die meisten Deutschen können von ihren Gehältern im Luxus leben. Der Mindestjahresbeitrag in der Gemeinde beträgt aber nur umgerechnet 500 Euro. „Da gibt es Fälle, in denen die Eltern noch verhandeln wollen, wenn sie ihr Kind zum Konfirmandenunterricht anmelden und für mindestens ein Jahr zahlendes Mitglied werden sollen. Andererseits zahlen einige Familien aber auch freiwillig 10.000 Euro, weil es ihnen nicht weh tut und sie in Deutschland ja viel höhere Kirchensteuern zahlen müssten.“

Es ist lange her, seit Peter Kruse ein „normale“ Kirchengemeinde betreut hat. In den vergangenen Jahren war er übergemeindlich tätig, arbeitete mit Flüchtlingen, Studenten und Ausländern. Da sein Vertrag in Hamburg aber bald auslaufen würde, suchte er noch einmal nach einer völlig neuen Aufgabe. Während einer Urlaubs-Gruppenreise durch China traf er sich mit Kirchenvorstehern in Shanghai. Die Pfarrstelle war schon seit einiger Zeit vakant und wurde von dem Geistlichen aus Peking mit betreut. Noch während seiner Weiterreise durch China bekam er eine SMS auf sein Handy, dass man sich auf ihn als neuen Pastor für Shanghai freue. Nach wenigen Wochen hatte Kruse in Hamburg seine bisherige Stelle aufgegeben und seine Sachen für China gepackt. Mit dem Chinesisch lernen konnte er dann erst vor Ort beginnen.

Kruse ist froh, dass er in einer ökumenischen Gemeinschaft arbeiten kann. So sind die Deutschen in erster Linie Christen, besuchen abwechselnd die Gottesdienste der Evangelischen im Racquet Club und der Katholischen bei Pfarrer Bauer in der St. Peters Kirche. Bei Konfirmationen und Firmungen sind alle Konfessionen als Gäste willkommen. Den Bibelkreis leitet der katholische Pfarrer als Hauskreis bei einer Familie, die im 33. Stockwerk wohnt. Gemeinsam werden Ausflüge unternommen, bei Martinsumzug, Nikolausfeier und  Sternsinger-Aktion wird nicht nach der Gemeindezugehörigkeit gefragt.

Wer für ein deutsches Unternehmen einen Arbeitsauftrag in der 18-Millionenstadt Shanghai hat, ist froh, einen neutralen Anlaufpunkt außerhalb der Firma zu finden. Das kann der Stammtisch im „Paulaner“ sein – oder der Familien-Gottesdienst am Sonntag. Die meisten Frauen haben Haushaltshilfen und sind nicht berufstätig. „Eine Frau eröffnete hier einen gutgehenden Blumenladen – doch das ist die Ausnahme.“ So fallen sie in ein tiefes Loch - oder engagieren sich ehrenamtlich, zum Beispiel bei der „Schatzkiste“ für Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren oder in der Gruppe “Atempause“. Hier wird einmal im Monat darüber nachgedacht, was es bedeutet, „auf dem Weg“ zu sein, einen „roten Faden im Leben zu verfolgen“ und „Brücken zu bauen“. Einen festen Chor gibt es in der Gemeinde zwar nicht. Aber wer gern singt, hält sich entweder zur Taizé-Gruppe oder nimmt am Momo-Singtreff teil. Abwechselnd in den Stadtteilen Gaojung Lu oder Pudong üben rund fünfzehn Sangesfreudige die Lieder für die nächsten Gottesdienst ein – und laben sich dann an deutschen Gerichten, wie Flammkuchen.

Hinter der intakten Fassade bröckelt es allerdings auch gewaltig – in Shanghai mehr als anderswo auf der Welt. Darum sind hier Seelsorger und Therapeuten besonders gefragt. Nicht jeder Manager strebt nach einem 13-Stunden-Arbeitstag in den Schoß der Familie. Die chinesische Sekretärin hat es längst darauf angelegt, sich auch nach Feierabend noch unentbehrlich zu machen. Kruse schätzt, dass in Shanghai jede zweite Ehe aus diesen Gründen in die Brüche geht. Die aus Imagegründen nachgeholte Ehefrau aus Deutschland erfährt manchmal schon nach wenigen Wochen in Shanghai, dass sie überflüssig ist. Depressionen, Drogensucht und Alkoholmissbrauch sind die leidvollen Folgen des Luxuslebens für Ausländer im aufstrebenden China.        

Ilsemarie Straub-Klein 

Infos: bei Pastor Peter Kruse, Deutschsprachige Christliche Gemeinde Shanghai, www.dcgs.net, email: peterkruseshanghai@yahoo.de, Telefon + Fax 0086 21 54241200, Mobil: 13917654475

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